Das Geschäftsmodell von Google und Facebook klingt verlockend: Diese Plattformen bieten eine kostenlose Fülle von Informationen und Möglichkeiten. Dafür Werbung in Kauf zu nehmen, die persönlich auf einen zugeschnitten ist, scheint nur fair zu sein. Dementsprechend nutzen Milliarden von Menschen weltweit diese Dienste. Doch dieses Geschäftsmodell beruht auf einem faustischen Pakt: Es zwingt Menschen, die ihre Rechte auf digitale Informations- und Meinungsfreiheit sowie gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe ausüben wollen, auf ihr Recht auf Privatsphäre zu verzichten. Das Geschäftsmodell der Datenkartelle ist ein privatwirtschaftlich organisierter umfassender Angriff auf die Privatsphäre, bei dem persönliche Daten zum Rohstoff für Vermarktungsprozesse geworden sind. Dazu gehören Daten über Produktvorlieben, Kaufverhalten, Bonität, sexuelle Orientierung, politische Einstellungen, soziale Identität und Gruppenzugehörigkeiten sowie intimste Gesundheitsdaten, Suchanfragen und Kontakte. Auch staatliche Organisationen wie die NSA und andere Geheimdienste haben sich zu diesen Daten Zugang über umfassende Überwachungsgesetze gesichert.
Diese historisch beispiellose Verletzung des Rechts auf Privatsphäre funktioniert nur, weil die ständige digitale Überwachung unmerklich im Hintergrund abläuft. Niemand würde in der analogen Welt realen Personen diese Einblicke gewähren. Genau deshalb haben Browser einen Privat- bzw. Inkognitomodus, der den Verlauf vor neugierigen Blicken anderer schützt. Doch auch wenn dieser Modus aktiviert ist, werden die Nutzer:innen weiter getrackt. Gepaart mit in Echtzeit erhobenen Informationen, wo sich die Nutzer:innen im Netz, in der physikalischen Einkaufswelt oder im öffentlichen Raum bewegen, fließt deshalb ein ständiger Datenstrom nicht nur zu den Nutzer:innen hin, sondern auch zugleich in ein Geflecht von Werbevermarktern zurück. Dieser Datenstrom wird in Echtzeit ausgewertet, um die Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden und gewinnbringend versteigern zu können. Diese Versteigerung, Programmatic Ad Bidding genannt, erfolgt wie beim computergesteuerten Aktienhandel in Millisekunden im Hintergrund und entscheidet darüber, welche Werbung an welchem Ort ausgespielt wird.
Die Werbung ist persönlich relevant in dem Sinne, dass die Algorithmen und Meistbietenden entscheiden, welche Werbung zu welchem persönlichen Profil passt. Über Jahre hinweg konnten in den USA Anzeigenkunden voreinstellen, welche Hautfarbe oder politische Einstellung für welche Wohnungsanzeige relevant ist, und welches Geschlecht für welche Stellenanzeige. Den nicht-relevanten Personen wurde die Werbung nie gezeigt, was diese naturgemäß nicht bemerken konnten, obwohl die Rechtslage Diskriminierungen bei solchen Anzeigen verbietet. Nachdem dies nach jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen unterbunden wurde, stellte sich heraus, dass die lernenden Algorithmen diese Diskriminierungen automatisiert und nun auch ohne Wissen und Voreinstellungsmöglichkeit der Anzeigenkunden übernommen hatten. Aber auch eine automatisierte Form der Diskriminierung verstößt gegen Diskriminierungsverbote. Die Verantwortung dafür darf nicht auf Algorithmen abgeschoben werden.
Die automatisierte Aufmerksamkeitsanalyse und -steuerung hat Google und Facebook zu einem Duopol der Internetwerbung gemacht, dem sich auch diejenigen nicht entziehen können, die Facebook- und Google-Produkte bewusst meiden. Unzählige Webseiten, Apps und Dienstleister nutzen Schnittstellen zu Google und Facebook, oft hinter irreführenden Nutzungsbedingungen und Zustimmungsdialogen versteckt, weshalb allein die bloße Ankündigung von Apple, eine einfache explizite Zustimmung für den Zugriff auf die Werbekennzeichnung einholen zu wollen, zu einer erbitterten Auseinandersetzung um Gewinneinbußen geführt hat.
Aber es geht nicht nur um viel Geld, es geht um die Rechte auf Privatsphäre und Nichtdiskriminierung, Meinungs-, Informationssuche- und Pressefreiheit, die in der Aufmerksamkeitsökonomie von Datenanalysen und algorithmisch verstärkten Verschwörungstheorien, Desinformationen und Hassbotschaften untergraben werden. Es geht um die Macht, Wahlen beeinflussen und mit der Sperrung von verlässlichen Informationen und Nachrichtenquellen drohen zu können, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Amnesty International hat deshalb in einer umfassenden Dokumentation auf die Gefahr der Datengiganten für die Menschenrechte und Demokratie hingewiesen und die Gesetzgeber aufgefordert, dieser Gefahr zu begegnen. Die Ereignisse nach der Abwahl Donald Trumps haben diese Analyse bestätigt. Das Geschäftsmodell von Google und Facebook ist sicherlich nur ein Faktor unter vielen, aber ein relevanter, dessen negativen Auswirkungen inzwischen überdeutlich sind, weshalb die Themenkoordinationsgruppe „Menschenrechte im digitalen Zeitalter“ die sich abzeichnende Regulierung der Datenkartelle in Europa und den USA kritisch begleiten wird.